Der lange Weg zur Erleuchtung | NZZ (2025)

Bis heute wird Osamu Tezuka als «Gott des Mangas» verehrt. Tatsächlich hat er den japanischen Comics geprägt wie kein anderer. Eines seiner Hauptwerke ist nun auf Deutsch erschienen:«Buddha».

Christian Gasser

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Gegen Ende seines Lebens besucht Buddha den machtgierigen König Ajatasattu, der, beraten von Buddhas abtrünnigem Jünger Devadatta, nicht nur seinen Vater gestürzt hat und einkerkern liess, sondern auch Buddha mit einem Pfeil beinahe getötet hätte. Ajatasattu ist krank – das Gift, das der falsche Mönch Devadatta ihm einflösste, um ihn besser zu beherrschen, führt zu einer schmerzhaften Schwellung auf seiner Stirn. Buddha heilt den König, indem er einen Finger auf die Geschwulst drückt, drei Jahre lang. Nach drei Jahren wird er endlich mit einem Lächeln belohnt – und dieses Lächeln stimuliert die letzte grosse Erkenntnis Buddhas. Er habe geglaubt, sinniert er euphorisch auf dem Gipfel eines Bergs, man könne nur durch strenge Übungen Erleuchtung erlangen – dabei wohne uns allen Göttlichkeit inne! Da ist Buddha zwar schon seit über vierzig Jahren «der Erleuchtete», und seine Lehre erreicht immer mehr Menschen in den diversen Königreichen Indiens. Und doch bleiben Buddha und seine Lehre in Bewegung; er nutzt die ihm verbleibende Zeit, um seinen Schülern diesen letzten Mosaikstein seiner Philosophie weiterzugeben.

Opulentes Epos

Der 1928 geborene Osamu Tezuka gilt als der Begründer des modernen japanischen Comics, des Mangas; bis heute wird er als «Gott des Mangas» verehrt. Er begründete fast alle Genres des Mangas, war ungeheuer populär und hinterliess bei seinem Tod 1989 über 150 000 Comic-Seiten und 600 Animationsfilme. Mit den animierten Fernsehserien um seine berühmtesten Figuren, «Astroboy» und «Kimba der weisse Löwe», wurde er in den sechziger Jahren auch im Westen berühmt. In diesem gigantischen Werk nimmt das zehnbändige Manga «Buddha», das zwischen 1972 und 1983 entstand, eine Sonderstellung ein: «Buddha» ist unbestreitbar eines von Tezukas Meisterwerken.

Auf über 3000 Seiten erzählt Tezuka, wie aus dem kränklichen Königssohn Siddhartha Gautama der Begründer des Buddhismus wurde. Tezuka schildert Siddharthas Lehr- und Wanderjahre nicht in Form einer esoterisch verklärten Abhandlung, sondern als ein opulentes Abenteuer-Epos mit Dutzenden von Schauplätzen und zahlreichen Figuren und Handlungslinien. Dabei nahm sich Tezuka etliche Freiheiten und verknüpfte bekannte Fakten und Legenden mit eigenen Zutaten.

Die Handlung aber dient immer dazu, die zentralen Aussagen der buddhistischen Lehre zu vermitteln und sie in ihrem – allerdings vereinfacht dargestellten – historischen Kontext zu zeigen, vor dem Hintergrund politischer Unruhen, von Kriegen zwischen den kleinen nordindischen Königreichen, von Aufständen, Hungersnöten und Seuchen. Als der wohlbehütete Königssohn Siddharta bei einem ersten Ausbruch aus dem Palast unvermittelt mit dem Alltag der mehrheitlich elenden Bevölkerung konfrontiert wird, beginnt seine Auseinandersetzung mit ihren Lebensbedingungen. Das führt zu seiner ersten Rebellion – und zur Ablehnung des Kastensystems. Mit 29 Jahren zieht Siddharta die Konsequenzen aus seinem Unbehagen: Er verlässt den Königshof, seine Frau und seinen eben geborenen Sohn und wird zum Suchenden, der, getrieben vom Durst nach Wahrheit und Weisheit, von einem Meister zum anderen zieht und in der Askese seine Vervollkommnung anstrebt. Diese Odyssee durch den Kosmos Indiens und seiner exzentrischen Gurus, Scharlatane und deren nahezu selbstmörderische asketische Exzesse schildert Tezuka vor allem im grossartigen fünften Band mit köstlich parodistischer Zuspitzung. Mit 35 hat der schmächtige Jüngling, unter einer Pappelfeige sitzend, seine – zeichnerisch prächtig ausgestaltete – Erleuchtung und nennt sich fortan Buddha, der Erleuchtete. Das ist der Anfang des zweiten, nicht weniger beschwerlichen Teils: Buddha wandert weiterhin, begleitet von einer wachsenden Jünger-Gemeinschaft, durch das Land und predigt zu Menschen aller Schichten und Kasten. Ungefährlich ist das nicht – zumal nicht nur weltliche Machthaber und andere religiöse Führer seine Lehre bekämpfen, sondern auch unter seinen Anhängern Machtkämpfe und Intrigen ausgefochten werden und Betrug und Verrat drohen.

«Buddha» hatte für Osamu Tezuka eine grosse Bedeutung – nicht zuletzt diente ihm Buddhas Lebensgeschichte dazu, sein eigenes, vom Atombombenabwurf auf Hiroshima geprägtes humanistisches und pazifistisches Welt- und Menschenbild zum Ausdruck zu bringen. Die persönliche Bedeutung liest sich an der Sorgfalt ab, mit der Tezuka die Figuren zeichnete und die Handlungslinien dieses vielstimmigen Epos verknüpfte – und dabei die erzählerischen Brüche, die in anderen seiner Comics bisweilen stören, vermied.

Seiner Neigung zu albernem Klamauk und anachronistischem Slapstick, einem seiner Markenzeichen, konnte er freilich auch hier nicht widerstehen: Immer wieder fallen die Figuren aus ihrer Zeit und ihren Rollen, schwärmen von amerikanischen Filmstars oder reden von modernen Erfindungen wie dem Telefon und dem Auto. Ein Prinz wird von seiner Mutter gerügt, weil er «Kimba» und «Astroboy» verschlingt, und mehrmals beklagen sich Figuren beim Autor über ihre Behandlung oder rühmen seine erzählerischen Kniffe. Den tristen Höhepunkt dieser Anachronismen leistet sich ein Höfling des Königs Ajatasattu: Den Trick mit dem Fingerauflegen kenne er aus einem Film – ob Buddha etwa E. T. sei? Der Gag kommt drei Seiten bevor Buddha zu seiner finalen Erkenntnis gelangt – der Stilbruch könnte brutaler kaum sein. Diese Gags sollen die Handlung auflockern, doch ihre Inkongruenz gerade im Zusammenhang mit einer sonst ernsthaften Auseinandersetzung mit einem Religionsstifter widerspricht unseren Leseerwartungen. Dass Tezuka sie in «Buddha» durchaus mit grösserer Zurückhaltung einbaut als anderswo, ändert nichts daran, dass sie stören.

Ein Sog visionärer Bilder

Diesen Makel macht die Bildsprache allerdings mehr als wett. In «Buddha» zieht der Meister alle Register seines Könnens, seine Zeichnungen sind klar, präzise und doch sehr lebendig, sie verbinden kindliche Rundlichkeit, abstrakte Stilisierung und abgeklärte Reife. Genau wie Siddhartha auf dem Weg zu sich selbst ruhen die Bilder manchmal meditativ in sich selber, schwingen sich in kühne Visionen empor oder explodieren dynamisch mit der Handlung – und verschmelzen zu einem Bildersog, dem man sich kaum entziehen kann. Das zehnbändige Werk ist nicht von ungefähr ein Klassiker des Comics. In erster Linie jedoch ist «Buddha» ein eindringliches, für alle Altersgruppen geeignetes Lesevergnügen.

Osamu Tezuka: Buddha (10 Bände, aus dem Japanischen von John Schmidt-Weigand, je etwa 320 S.; Carlsen-Verlag, Hamburg).

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